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Das rote Album

by Ernte 77

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1.
Mir fällt auf, du kuckst ja ständig auf deine Uhr Was ist denn los? Wir fangen doch gerade erst an! Willst du wirklich in ’ner Stunde die Bahn schon nehmen? Glaub ich nicht! Dein Wecker klingelt dann und dann, doch muss er nicht, ist ja widerlich, nur ein Anruf und du bist befreit Sei fortschrittlich, und entspanne dich, denn der Sinnspruch lautet doch: Wer feiern kann, kann auch ausschlafen, also bleib noch länger da Bis in die Puppen sitzen wir noch an der Bar Hol dir noch ein Bier, denn die Nacht gehört dir Für die Lohnarbeit ist auch später Zeit Was du morgen kannst besorgen, ist doch egal Viel wichtiger ist sich auszuruhen In deinem Bett oder seinem Bett oder ihrem Bett und mehr Pronomen freuen sich, drum entspanne dich, und denk an den guten Rat: Wer feiern kann, kann auch ausschlafen, also bleib noch länger da Bis in die Puppen sitzen wir noch an der Bar Hol dir noch ein Bier, denn die Nacht gehört dir Für die Lohnarbeit ist auch übermorgen Zeit Und auch nächste Woche Zeit Wer feiern kann, kann auch ausschlafen
2.
Ich finde gut, wenn ich angetrunken mein Lieblingsalbum hör und ich singe laut mit, ganz egal, ob ich andere stör Ich find schön, wenn wir Sonnenuntergänge am Rheinufer sehen Wenn die Wellen so klingen, als wären wir am Meer. Wir liegen im Sand, wenn die Seemöwen krähen Das find ich gut, das find ich schön, aber nichts ist schön an Montabaur Du musst mich doch verstehen, dass ich gerne bei dir bin, aber lieber du bei mir Ich finde gut, wenn durch Solidarität etwas Gutes passiert oder wenn ausnahmsweise ein Plan von mir funktioniert Ich find schön, wenn sich mal die Wut entfacht, oder wenn mich daheim meine Katze mit Schnurren begrüßt und ich weiß: Ich hab morgen frei und im Kühlschrank ist Wein Das find ich gut, das find ich schön, aber nichts ist schön an Montabaur Du musst mich doch verstehen, dass ich gerne bei dir bin, aber lieber du bei mir Ich mag Kuchen mit Äpfeln und Zucker und Zimt, und wenn mein Verein die drei Punkte mitnimmt Das find ich gut, das find ich schön, aber nichts ist schön an Montabaur Du musst mich doch verstehen, dass ich gerne bei dir bin, aber lieber du bei mir
3.
Darf ich mich vorstellen? Guten Tag! Ich bin der deutsche Durchschnittsbürger Bin hetero und weiß und mag Ordnung und Recht, das ist wofür der Deutschländer steht Distanziert von jedem Gedankengut, links- oder rechtsextrem, ist gleich schlimm Egal ob in brauner oder roter Form Die Rechten bringen Leute um, die Linken protestieren dagegen Bild ist mein Lieblingsmedium, beide lehne ich ab deswegen Extremismus find ich schlecht in jeder Form, und deshalb will ich aus Faschismus und Menschenrecht einen gesunden Mittelweg Mach einen Schritt nach links und zwei nach rechts, die goldene Mitte hat sich dort versteckt Von jeder Form von Haltung distanziert; so lebt es sich leicht, ist man privilegiert Hufeisen sind mein Glückssymbol, denn diese Linken nerven immer Nazis mag ich ja auch nicht, obwohl – Chaoten find ich deutlich schlimmer Bringen immer Politik mit rein! Nett zu sein ist diktatorisch Ich will doch unpolitisch sein! Ich bin normal, ihr seid ideologisch! Mach einen Schritt nach links und zwei nach rechts, die goldene Mitte hat sich dort versteckt Von jeder Form von Haltung distanziert; so lebt es sich leicht, ist man privilegiert …
4.
Beschäftigen wir uns mit den Alternativen im Sonnensystem Läuft alles auf die Venus hinaus als Traumort für dein Ferienhaus Wärmer als der Jupiter, und bei weitem nicht so schwer Einerseits sind dort die Tage länger, doch feiert man häufiger Silvester Da ist es auch noch nicht so gentrifiziert, deshalb wird gerne in Grund investiert Wir reisen durch den Weltraum ohne Ziel und suchen nach dem richtigen Profil, heimatlos Rückkehr zur Erde kommt nicht in Frage, wir wollen in der Sonne liegen Grenzen überschreiten, kriterienbasiert Neptun ist aus Gas aufgebaut, was dem Haus die Statik versaut Geozentrisch denken wir nicht, auf dem Mars ist auch genug Licht Protestieren außerdem gegen jedes Ringsystem Die meisten Monde hat der Saturn, aber am Pol einen schrecklichen Sturm Mit Wasserstoff atmet man doppelt so gut, und mit Methan und mit Helium im Blut Und wir reisen durch den Weltraum ohne Ziel und suchen nach dem richtigen Profil, heimatlos Machen Notizen, prüfen akribisch, fällen unsere Testurteile und haben so im Schnitt dreieinhalb Sterne verteilt Wir trinken Astronautenwein, mitten in die Fresse rein Gravitation wurde oft überschätzt, während man meist die Albedo weglässt Vielleicht darf es auch mal ein Zwergplanet sein – Pluto wär uns persönlich aber zu klein Wir reisen durch den Weltraum ohne Ziel und suchen nach dem richtigen Profil, heimatlos Rückkehr zur Erde kommt nicht in Frage, wir wollen in der Sonne liegen Grenzen überschreiten, kriterienbasiert
5.
Wo sind die Ramones? Die gibt es längst nicht mehr und 1994 ist schon lange her (da war ich vier) Die jungen Leute laufen zwar mit bunten Haaren rum und tätowiert, doch pflegen sie kein echtes Punkertum Doch schon bald beginnt die Renaissance Punk wird durch die Ernte wieder angesagt bei jungen Leuten und die größte Subkultur, hochverdient Kalifornien hat einiges für sich Doch was die nächste Welle angeht, lässt es uns im Stich Skateboardfahren kann man stilecht nur zu Punk-Musik (und Surfen) Die Sonnenbrille ist hier optional, die Republik kriegt bald wieder Chaostage im nächsten August Freut euch, denn Punk wird durch die Ernte wieder angesagt Die Kids werden united und die Musik gut, so wie hier
6.
Anderthalbmal, affirmativ Ein klares LOL, das Narrativ Runterkommen, plötzlich ist alles schön, egal Aber es ist einfach so: Zu Bier sag ich nie no Das ist ein Prinzip Runter wie Öl, der Knoten platzt und der Kopf pocht, Abgang verpatzt Die U1 nehmen bis Friedrichshain, stabil Und dennoch ist es halt so: Zu Bier sag ich nie no Das ist ein Prinzip …
7.
Inneres Leuchten, bessere Welten Höheres Selbst und ein warmer Ort Die reine Lehre, nach alten Bräuchen Fließt Energie wie das kalte Bier Hoch fokussiert soll man sein, aber alles ist verschwommen wie die Aura Yoga und Reiki und der letzte Schritt zur Unendlichkeit Ich bin ein Tiger, wenn ich will und eine Blume, die von rechts nach links im Wind auf dem Gras wackelt In einer phantastischen Welt, deren Umriss mir gefällt als das was mein Blick nach innen mir verrät Mit über 30, Alltag bewältigt Denn im System hat man es nicht leicht Flucht ins Private, tief aber durstig Das Leber-Chakra im Gleichgewicht Tantra im Lotossitz, mehr Rausch für wenig Geld, spirituell und -osen Äther und Ethanol, Glückseligkeit ist zum Greifen nah Ich bin ein Tiger, wenn ich will und eine Blume, die von rechts nach links im Wind auf dem Gras wackelt In einer phantastischen Welt, deren Umriss mir gefällt als das was mein Blick nach innen mir verrät falls er etwas zu verraten hätt Ich bin ein Tiger, wenn ich will und eine Blume, die von rechts nach links im Wind auf dem Gras wackelt In einer phantastischen Welt, deren Umriss mir gefällt als das was mein Blick nach innen mir verrät
8.
Ich kenne 80 Millionen Gründe, hier nicht mehr zu wohnen Doch man kann sich arrangieren, und jeden Sinn stimulieren für den Spaß Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland, denn uns zwei macht er deutlich glücklicher als Heimattümelei Die Laune geht rauf, die Schublade auf – auch für allein Prioritäten sind wichtig, und bei mir liegen sie richtig Endlich gibt’s dazu ein Lied, Arbeitstitel: „Ich bin komplett im Arsch“ Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland, denn uns zwei Macht er deutlich glücklicher als Heimattümelei Gefühle in mir erregt deine Hand, aber doch kein Land Mein Dildo ist wichtiger als Deutschland, denn uns drei Macht er deutlich glücklicher als Heimattümelei Egal, wer amtiert, stattdessen regiert das Lustprinzip Könnte ich auch Skateboard fahren, wär’s noch wichtiger Halt stop!
9.
Im Flugmodus 02:43
Ich glaub ich seh verkehrt, 3½ Dimensionen Wenn Quallen durch das Zimmer zur Discokugel schweben Im Weltraum unter Wasser verglüht das Kerzenlicht Zwischen den Tesserakten seh ich in stereo Geschäftlich unterwegs bin ich im Flugmodus Nur noch 20 Minuten, vielleicht noch Überstunden Ich glaub ich seh verkehrt, 3½ Dimensionen Wenn Wellen im Aquarium durch bunte Algen strömen Zwischen den Blendenflecken seh ich in Farbe und bunt Du magst Orange, ich Multiketamin Der Panther ist am Fließen, am Ende Schlüsse ziehen Du triffst die Töne, ich treff Maschinenelfen 3½ Dimensionen, und mehr als Schlüsse ziehen
10.
Wo ist eigentlich der Sinn ’ne Band zu gründen heutzutage? Das bringt doch nichts Haben wir denn keine größeren Probleme? Das Böse ist immer und überall Besser programmiert man Rhythmen, scheiß auf Authentizität Diese Kategorie ist längst schon obsolet, ich leb von der Musik Ich brauch kein Gemüse, kein Obst und kein Brot Die Mühe ist brotlos, das Konto ist rot Gebt mir noch mehr Luft und Liebe, ich lebe davon und von der Musik Mit Vitaminen und Omega-3 und ballaststoffreich Nach ersten Pilotversuchen ziehen die Leichen den Fluss hinauf Und wir sind immer noch Eine irrelevante Band mit relevanten Liedern, ein Ohne-Hit-Wonder Köln ist nämlich nicht umsonst die Partnerstadt von Liverpool Und da fragt man sich dann doch: Wo spielt denn die Musik? Da, wo der Gletscher kalbt Ich brauch kein Gemüse, kein Obst und kein Brot Die Mühe ist brotlos, das Konto ist rot Gebt mir noch mehr Luft und Liebe, ich lebe davon und von der Musik Mit Vitaminen und Omega-3 und ballaststoffreich Ich brauch kein Gemüse, kein Obst und kein Brot Die Mühe ist brotlos, das Konto ist rot Gebt mir noch mehr Luft und Liebe, ich lebe davon und von der Musik Denn niemand füttert die Hand, die einen beißt, aber du mich auch
11.
Wir sind draußen gerne laut, und wir haben straffe Haut Wir studieren irgendwas, aber nicht im Übermaß Wir wohnen in der großen Stadt, weil sie eine Szene hat In einer WG zu dritt, bring doch deine Freunde mit Wir machen was uns gefällt, uns gehört die ganze Welt Wir sind so geil, denn wir sind jung Wir feiern nur, denn wir sind jung Wären wir nicht jung, wären wir nicht so geil Doch das Geile ist, wir sind so jung Wir feiern die ganze Nacht, wie man’s in dem Alter macht Und dazwischen draußen stehen, und uns Zigaretten drehen Alle wollen Fotos sehen, wie wir eskalieren gehen Flohmärkte und Festivals, überall Millenials Wir sind abends gerne dicht, die Alten verstehen uns nicht Wir sind so geil, denn wir sind jung Wir feiern nur, denn wir sind jung Wären wir nicht jung, wären wir nicht so geil Doch das Geile ist, wir sind so jung Wir sind so nice, denn wir sind jung Wir feiern nur, denn wir sind jung Wären wir nicht jung, wären wir nicht so nice Doch das Nice ist, wir sind so jung
12.
Xenon 03:17
Metall und Stein, Beton und Licht Schwarz und Weiß, dazwischen wir Episch wird die Gegenwart, und deine Welt zu meiner Welt Wenn du lachst, vergesse ich den Tag, die Dämonen, Angst und Geld Nachts, wenn die letzte Kerze brennt, greifen wir uns den Moment Halten ihn für immer fest, bis das Feuer uns verlässt Musik und Qualm, vergiss die Zeit Hier und jetzt, da taumeln wir Unterschwellig überwältigt, teilen wir denselben Rausch Aus dem Tunnel schauen wir, wollen hier so schnell nicht raus Nachts, wenn die letzte Kerze brennt, greifen wir uns den Moment Halten ihn für immer fest, bis das Feuer uns verlässt Es ging alles viel zu schnell, draußen wird es wieder hell Nach dem Drehen folgt der Schnitt, nimm mich bitte wieder mit Nachts, wenn die letzte Kerze brennt, greifen wir uns den Moment Halten ihn für immer fest, bis das Feuer uns verlässt Du bist mein Citalopram, siehst du mich an, wird mir warm Nach dem Drehen folgt der Schnitt, nimm mich bitte wieder mit
13.
Filterblase 03:22
In audiovisuellen Medien verklärt man die Realität Wenn jeder zweite Film und Liedtext sich nur um Liebesdinge dreht Leider sieht die Welt nicht für alle so aus, denn zum Verliebtsein braucht man mindestens zwei Wo bleiben die Lieder für die Außenstehenden, denen diese heile Welt verschlossen bleibt? Weil man als Autor von Serien oder Liedern oft vergisst dass die Vorstellung von Liebe zu normalozentrisch ist Jeder Topf hat einen Deckel, außer er ist zu verbeult, hast du längst schon festgestellt Wenn die anderen sich vergnügen, während du nur traurig bist bleibt der Rückzug ins Private, aber was, wenn da nichts ist? Das ist deren Filterblase, und für sie Normalität – schöne ungerechte Welt Ich vote Liebeslieder runter, so trifft die Macher mein Protest Weil sie mich ungefragt erinnern, wie glücklich scheint der ganze Rest Missgunst ist hier natürlich nicht angebracht, aber ich hätte gern in Colonia Amore gemacht Geh weg mit deiner Herzscheiße, ja, ich dich auch! Ich verlasse langsam den realistischen Sektor Aber dennoch ist da immer diese Hoffnung, irgendwann kommt meine Zeit Aber meine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit Sieger schreiben die Geschichte, die von Liebe oft erzählt, die den Unglücklichen fehlt Ich hör Leute sagen Opfer, oder denken jedenfalls und ich seh mich auch als solches eines Schönheitsideals Jeder Topf hat einen Deckel, außer er ist zu verbeult, haben du längst schon festgestellt Weil man als Autor von Serien oder Liedern oft vergisst dass die Vorstellung von Liebe zu normalozentrisch ist Das ist deren Filterblase, und für sie Normalität – schöne ungerechte Welt
14.
Alter weißer Mann schreibt für Zeitungen was auf Was verkehrt hier läuft, hier in seinem schönen Land Deshalb brauchen wir dies und das und allerhand Alter weißer Mann ist politisch engagiert Stellt sich hin und sagt, was das Volk angeblich will Bisher weiß es nicht mal, was es zu wollen hat Geh mir weg damit! Ihr und euer Wir sind mir ein Dorn im Auge und eine Illusion, der ich widersprechen will und muss Ich will nicht bei euch dazugehörn, besorgt’s euch Bürgern selbst Ich bleib lieber Individuum Was maßt du dir an, für mich mitzusprechen? Hat sich die Welt als zu kompliziert erwiesen dass du nur Denken in Kollektiven nötig hast? Ich bin ich und bin ziemlich sicher nicht das Volk Das sich offenbar nicht für mich interessiert Warum soll ich mich mit euch identifizieren? Geh mir weg damit! Ihr und euer Wir sind mir ein Dorn im Auge Und eine Illusion, der ich widersprechen will und muss Ich will nicht bei euch dazugehörn, besorgt’s euch Bürgern selbst Ich mag’s lieber differenziert Wer ist „Wir“? Ich ganz sicher nicht Wenn du dich meinst, dann sprich für dich So schwer ist das doch wirklich nicht Ich gehör nicht zur Schicksalsgemeinschaft Plural macht Pluralismus platt Was Geschichte bewiesen hat Wenn der Populismus das Volk anstatt die Bevölkerung anspricht Ich bin nicht mit euch auf demselben Boot sondern ich schwimme lieber los Pack Getränke ein, Rettungsweste an und nix wie weg Geh mir weg damit! Ihr und euer Wir sind mir ein Dorn im Auge Und eine Illusion, der ich immer wieder widersprechen möchte Also hau ab mit „Wir“, sprich von dir! Denn alles andere ist gelogen Und eine Illusion, der ich widersprechen will und muss Ich will nicht bei euch dazugehörn, besorgt’s euch Bürgern selbst Ich bleib lieber Individuum

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released November 25, 2022

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Ernte 77 Cologne, Germany

Ernte 77 ist eine Punk-Band aus Köln, die den Zeitgeist musikalisch auf- und angreift. Satirische Alltagsbetrachtungen und Absurditäten vermischen sich dabei mit eingängigen Melodien und teilweise mehrstimmigen Harmonien.

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